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Bernhard Mosler
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Politisch ist eine von Menschen zu treffende Entscheidung, die das Dasein einer größeren Zahl von Menschen in besonderen Hinsichten beeinflusst. Die Legitimierung einer politischen Entscheidung soll alle davon irgendwie tangierten Menschen dazu bewegen, deren Geltung bis zum gegenstandslos Werden oder bis zum Ersatz durch eine andere legitimierte Entscheidung anzuerkennen, soweit Konsens erzeugen und einem verträglichen neben- und miteinander Existieren dienen. Je besser sich ein rechtlich vorgegebener Rahmen, der an der öffentlichen und individualrechtlichen Sicherheit orientiert ist, mit freier öffentlicher Artikulation politischer Meinungen der einzelnen Staatszugehörigen vereinbaren lässt, tendenziell umso eher staut sich in der Bevölkerung keine Aggressivität mit der Eventualität irgendwann folgender staatsgefährdender Entladung auf.
Einige Bedingungen im Staat können die Legitimierung politischer Entscheidungen begünstigen.
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Regelmäßig gewählte politische Repräsentanten sind für Legitimierungen besser als keine Wahlmöglichkeit
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Eine parlamentarische Demokratie, deren Parteien und Abgeordnete sich regelmäßig einer größeren Zahl von Menschen in politischen Wahlen stellen müssen, deren Parteien und Abgeordnete die Zentralregierung eines Staates hervorbringen, ist für die Legitimierung politischer Entscheidungen besser, als wenn eine Gruppe von Personen auf dem Weg über politische Wahlen oder durch Putsch an die Zentralregierung gelangt und die erlangte Macht nicht mehr hergeben möchte. Auch dann ist ein Parlament miteinander konkurrierender Parteien, aus dem die Zentralregierung hervorgeht, besser im Hinblick auf die Legitimierung bestimmter politischer Entscheidungen, wenn die Abgeordneten einer Partei sich untereinander Fachgebiete zuteilen, sich mit einer bestimmten politischen Entscheidung nur die dafür ernannten „Fachpolitiker“ befassen und alle anderen Abgeordneten der Partei unreflektiert so entscheiden, wie es die Fachpolitiker vorschlagen.
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Politische Entscheidungen Ahnungsloser oder bevollmächtigter Ahnungsloser sind für Legitimierungen besser als Entscheidungen nicht Bevollmächtigter
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Auch dann kann eine Entscheidung zu einem politisch relevanten Gegenstand rechtsstaatlich einwandfrei ein bestimmtes Vorgehen legitimieren, wenn diejenigen, die darüber direkt abstimmen, nicht begreifen, worum es geht, keine Vorstellung von voraussichtlich möglichen Konsequenzen des gewählten Verhaltens haben; oder wenn in freien Wahlen bestimmte Personen ermächtigt werden, besondere Entscheidungen zu treffen und nur wenig darüber wissen, welche Konsequenzen eine bestimmte Festlegung voraussichtlich haben kann.
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So ist es für die Legitimierung politischer Entscheidungen besser, wenn Menschen das Recht in Anspruch nehmen können, öffentlich für oder gegen bestimmte Zustände, für oder gegen ein bestimmtes politisch umstrittenes Vorhaben zu demonstrieren, als wenn ihnen dies verboten ist. Es ist selbst dann besser, wenn die meisten Teilnehmenden wenig oder gar nichts über den Gegenstand der gerade stattfindenden Demonstration wissen, wenn sie nur deshalb dabei sind, weil es eine willkommene Gelegenheit für sie darstellt, sich mit Freunden zu treffen und dem Organisator wichtiger als der Gegenstand des Protestes ist, persönlich im Mittelpunkt zu stehen.
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Pressefreiheit zum öffentlichen Erregen von Aufmerksamkeit für Gegenstände von politischer Relevanz ist für die Legitimierung politischer Entscheidungen besser als Pressezensur – selbst dann, wenn Journalisten in ihren Beiträgen unzulänglich geprüfte und sich später als falsch erweisende Inhalte verbreiten.
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In eine bestimmte politische Entscheidung können sich nicht alle davon irgendwie Betroffenen einbringen
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Sind zentralregierend politische Entscheidungen zu treffen, die existenzielle Grundlagen vieler Staatszugehöriger tangieren, dann wäre es zwar prinzipiell sachgerecht, bestimmtes diesbezügliches Verhalten durch alle erreichbaren Menschen mit im eigenen Kopf vollziehbaren Gedanken legitimieren zu lassen. Doch je komplexer die lebensweltlichen Bedingungen um einen besonderen Gegenstand herum sind, über den zentralregierend Entscheidungen anstehen, tendenziell umso größer ist die Zahl der davon betroffenen Menschen, die darüber abzustimmen beanspruchen könnten. Je komplexer die Bedingungen sind, tendenziell umso weniger zentralregierende Entscheidungen zu Gegenständen gibt es, die nicht für alle Menschen weltweit irgendwie relevant sind. Die Verwirklichung von sovielen Abstimmungen durch soviele Menschen ist nicht realisierbar.
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Andererseits je komplexer Daseinsbedingungen sind, auf die Bewahrung von tendenziell umso mehr Dingen sind übereinstimmend Menschen in einer bestimmten Region oder weltweit existenziell angewiesen. Tendenziell umso mehr Menschen beeinflussen umso häufiger mit ihrem persönlichen Verhalten andere Menschen in für deren individuelle Anliegen relevanter Weise. Umso häufiger kommt gleichgerichtetes Verhalten einer Gruppe von Menschen einem politisch relevanten Verhalten gleich. Entscheidungen zu solchem Verhalten jedes Mal über die gleichgerichtet sich verhaltende Gruppe hinaus durch alle davon irgendwie Betroffenen legitimieren zu lassen, wäre zwar grundsätzlich sachgerecht, ist aber unmöglich, allein schon deswegen, weil unter komplexen Gegebenheiten diejenigen, die von Menschen gemachte Fakten legitimieren wollten, Kausalketten sowie Kräfte, die sich gegenseitig verstärken, schwächen oder neutralisieren, zu wenig zu überblicken vermögen.
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Je komplexer der Gegenstand, umso mehr ist die Legitimierung einer politischen Entscheidung dazu nur eine Willensbekundung mit unvorhersehbaren Konsequenzen
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Je komplexer Gegebenheiten sind, tendenziell umso schwieriger ist es für den einzelnen handelnden Menschen, eine gegebene Lage im für seine persönlichen Anliegen relevanten Umfang zu verstehen; zu beurteilen, was für Folgen eine bestimmte Entscheidung haben kann, ob die Entscheidung wahrscheinlicher als eine andere Festlegung Wünschenswertes fördert oder gesetzten Zielen eher schadet, und soweit kompetent mit der Komplexität umzugehen.
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Je komplexer Gegebenheiten sind, von tendenziell umso mehr unbeabsichtigten Einflüssen kann die Ausführung des Beabsichtigten mitbestimmt werden. Umso eher kann das Ergebnis vom Beabsichtigten abweichen. Tendenziell umso eher sind zustandekommende Fakten von niemandem so legitimiert worden.
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Tendenziell umso eher stellen Legitimierungen bestimmter politischer Entscheidungen lediglich Willensbekundungen dar, über deren Bedeutung sich die Legitimierenden nur unzulänglich im Klaren sind. Dann lässt sich bloß feststellen, dass ein vorgeschriebenes Ritual bestimmtes Vorgehen legitimiert hat. Je weniger Staatszugehörige begreifen, was eine bestimmte, alle Staatszugehörigen tangierende Entscheidung voraussichtlich bedeutet, de facto umso weniger erfüllt die Art, wie in dem betreffenden Staat regiert wird, das Merkmal, mit persönlichen Anliegen aller Staatszugehörigen oder wenigstens ihrer Mehrheit abgestimmt zu sein. Hält man dies für unbefriedigend, muss man die Legitimierung politischer Entscheidungen überdenken.
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Die Verfügung über das digitale Informationsnetz zweiter Struktur könnte es den über eine politische Entscheidung Mitbestimmenden tendenziell erleichtern, voraussichtliche Konsequenzen umfänglicher mitzuberücksichtigen und damit die Qualität der Legitimierung politischer Entscheidungen erhöhen
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Bei Verfügung über das digitale Informationsnetz zweiter Struktur könnte jeder einzelne Staatszugehörige darin vor einer politischen Entscheidung verschiedene zur Auswahl stehende Inhalte daraufhin prüfen, ob und inwieweit sie voraussichtlich mit seinen persönlichen Anliegen vereinbar oder dies nicht wären, und diejenige Entscheidung bevorzugen, die voraussichtlich seinen Anliegen am umfänglichsten entspricht. Er wäre in der Lage, danach zu recherchieren, ob und gegebenenfalls wie er sich mit dieser Meinung in den Entscheidungsprozess einbringen könnte. Hätte er entsprechende Optionen, könnte er diese wahrnehmen.
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Auch könnte der Einzelne im Netz zweiter Struktur Merkmale seiner Person Merkmalen geschaffener Fakten gegenüberstellen und im Rahmen des aktuell allgemein digital verfügbaren Kenntnisstandes ermitteln, ob diese Fakten für ihn irgendwie relevant sind, gegebenenfalls herausfinden, wie sich die Fakten bisher auf seine Person ausgewirkt haben, inwieweit die Fakten seinen persönlichen Anliegen nützlich oder schädlich gewesen sind. Er könnte erkunden, ob und gegebenenfalls wie die Fakten von Menschen beeinflussbar sind, ob er selbst im Sinne seiner Anliegen die Fakten verändern könnte. Wäre ihm dies möglich und möchte er es, verhielte er sich entsprechend.
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Je mehr einzelne Personen in ihren jeweils einzigartigen Befindlichkeiten ermittelten, dass übereinstimmend dieselben Fakten wegen derselben Merkmale mit ihren individuellen Anliegen unverträglich gewesen sind und durch menschliches Handeln voraussichtlich verträglicher gemacht werden könnten, und je mehr von ihnen sich daraufhin entsprechend gleichgerichtet verhielten, tendenziell umso eher würden die besonderen Fakten ihren Intentionen entsprechend korrigiert.
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Je komplexer Daseinsbedingungen von Menschen sind, tendenziell umso wichtiger ist neben der Kontrolle, dass eine politische Entscheidung voraussichtlich die unveräußerlichen individuellen Menschenrechte aller betroffenen Einzelnen respektiert, die Prüfung geschaffener Fakten dahingehend, ob und wie sich diese auf persönliche Anliegen auswirken; bei Unzufriedenheit mit dem Befund zu ermitteln, ob die Fakten von Menschen zugunsten eigener Intentionen zu beeinflussen wären. Ist dies voraussichtlich so, könnte sich daraus ein Votum für eine neue politische Entscheidung bestimmten Inhaltes ergeben. Je mehr Menschen eine solche Entscheidung befürworteten, umso mehr Druck könnte entstehen, das Gewünschte zu verwirklichen. Umso deutlicher käme die Willensbekundung der Befürworter einer Legitimation bestimmten politisch relevanten Verhaltens gleich.
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Die relativ stärkste Legitimation einer politischen Entscheidung kann erreicht werden, wenn möglichst viele von einem bestimmten Gegenstand, einer besonderen Entwicklung betroffene Einzelne bestimmte, von Menschen änderbare Fakten erkennen, die ihren jeweiligen Anliegen förderlich oder abträglich sind und sich daraufhin eine zweifelsfreiere Mehrheit der Betroffenen für das Bewahren oder eine Änderung der Fakten einsetzt, sich in dieser Hinsicht gleichgerichtet verhält. Je mehr Menschen sich gleichgerichtet verhalten, umso deutlicher ist die Legitimation für die beabsichtigte Einflussnahme. Außerdem je komplexer der besondere zu behandelnde Gegenstand ist, tendenziell umso mehr hängt die Qualität der Legitimation einer Entscheidung dazu von der persönlichen Kompetenz der vielen Einzelnen zur Lagebeurteilung von ihren individuellen Befindlichkeiten aus ab. In dieser Verhaltenskompetenz könnten sich die Einzelnen mit der Nutzung des Netzes zweiter Struktur verbessern.
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