publikationen von Bernhard Mosler

diskurs & Progress

Sich unter schwer bewertbaren Risiken persönlich behaupten

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Bernhard Mosler

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Ulrich Beck:

Die ständig perfektionierte wissenschaftlich-technische Gesellschaft hat uns ironischerweise die fatale Einsicht beschert:   Wir wissen nicht,  was wir nicht wissen. Genau daraus ergeben sich die Gefahren,  die die Menschheit bedrohen.“

Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft; Frankfurt 2007; S.94

 

Menschen können jederzeit Einschränkungen in persönlichen Verhaltensoptionen erfahren.  Keiner entgeht seinem Lebensende.  Jeder seiner Sinne Mächtige ist sich dessen grundsätzlich bewusst.  Die längste Zeit seines Daseins ist er so vielen Gefahren ausgesetzt,  dass er aufgrund seiner natürlich begrenzten geistigen Fähigkeiten nur einem Teil davon seine Aufmerksamkeit zu widmen vermag.  Er existiert Zeit seines Lebens mit Risiken.

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Risiken für bestimmte Menschen und ihre Anliegen können bestehen,  ohne dass sie sich darüber im Klaren sind.  Einer unbekannt großen Zahl von Risiken,   denen ein Mensch ausgesetzt ist,  wird sich dieser niemals bewusst.  Einer Gefährdung persönlicher Anliegen ist ein Mensch nur gewahr,  soweit er davon weiß oder zu wissen glaubt,  so oft und aufmerksam er daran denkt. 

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Menschen können sich einbilden,  dass sie besonderen lebensweltlichen Risiken ausgesetzt sind,  ohne dass diese Risiken tatsächlich bestehen.  Tritt ein besonderer,  nicht vorhergesehener Schaden ein,  ist für einen Menschen klar,  dass ein Risiko des Schadenseintritts bestanden hat.

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Je größeres Schadenspotenzial ein Risiko für einen Menschen enthält,  umso mehr liegt es in seinem Interesse,  das Risiko vor Eintritt eines Schadens zu erkennen,  und zu ermitteln,  ob oder inwieweit er diesen noch verhindern kann.

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Je bewusster sich ein Mensch der Existenz eines bestimmten lebensweltlichen Risikos ist und je höher er die möglichen Schadensfolgen bewertet,  tendenziell umso motivierter ist er zu dem Versuch,  das Risiko zu minimieren.

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Jeder Einzelne ist auf fast allen speziellen Feldern persönlicher Verhaltenskompetenz ein Laie.  Je komplexer Daseinsbedingungen sind,  tendenziell umso schwerer fällt es dem Einzelnen,  beschränkt auf digitale Recherchen in disziplinärwissenschaftlich befüllten Informationsnetzen,  lebensweltliche Risiken zu erkennen,  denen er ausgesetzt ist.  Tendenziell umso schwerer fällt es ihm,  nach Identifikation mehrerer solcher Risiken,  die alle zu verringern seine Mittel nicht ausreichen,  Grade seines Bedrohtseins durch die einzelnen Risiken einzuschätzen,  um Prioritäten seiner Abwehr dagegen angemessen im Sinne seiner Anliegen zu bestimmen.

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Je komplexer Daseinsbedingungen sind, tendenziell umso mehr verlässt sich der auf disziplinärwissenschaftlich befüllte digitale Informationsnetze beschränkte Einzelne darauf, dass ihn Fachleute, Publizisten in Medien, Nichtregierungsorganisationen und geschäftlich interessierte Kreise auf lebensweltliche Risiken sowie Handlungsbedarf dagegen aufmerksam machen.

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Aber nicht unbedingt erfährt der Einzelne auf diese Weise von den für ihn größten Risiken.  Gerät beispielsweise eine existenzielle Gefahr des Klimawandels in den Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit und folgt der Einzelne einer bestimmten Handlungsanweisung dagegen,  stirbt er unterdessen vielleicht schneller daran,  dass er die Bekämpfung des für ihn persönlich größeren Risikos einer Erkrankung vernachlässigt,  die öffentlich momentan oder überhaupt nicht thematisiert wird.

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Angenommen,  tausende Menschen erregen sich über das gleiche in Medien thematisierte lebensweltliche Risiko.  Für das besondere Risiko sind sie solange aufmerksam,  bis tonangebende Personen in Medien ein anderes Risiko als Thema vorgeben.  Je mehr sich die Tausenden für das neu thematisierte Risiko interessieren,  tendenziell umso eher schwindet ihre Sorge um das zuerst thematisierte Risiko.  Soweit dieses Risiko für den Einzelnen eigentlich gar nicht besteht,  ist sein Vergessen für ihn ohne Belang.  Je deutlicher es sich hingegen um ein für ihn reales Risiko handelt und je mehr er dieses vernachlässigt,  weil ihn ein von Medien in den Mittelpunkt gestelltes anderes Risiko besorgt,  tendenziell umso eher verhält er sich abträglich im Sinne seiner besonderen Anliegen.

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Angemessener als einem Herdentrieb von mediengeleiteten Menschen folgend sich erst um ein vermeintliches oder tatsächliches lebensweltliches Risiko,  dann stattdessen um ein anderes und wieder ein anderes mediengeleitet thematisiertes Risiko zu sorgen,  wäre es,  wenn jeder Einzelne um Zugang zu umfänglicherer persönlicher Kompetenz im Ermitteln verfügte,  was auf aktuell digital verfügbarem Kenntnisstand möglichst genau seine persönlichen tatsächlichen lebensweltlichen Risiken sind und in welcher Folge der Dringlichkeit deren Abwehr bestimmtes Verhalten von ihm erfordert.

Mit dem Zugang zum digitalen Informationsnetz zweiter Struktur könnte der Einzelne diese umfänglichere persönliche Kompetenz erlangen.

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Ist ein Mensch überzeugt davon,  einem besonderen Risiko ausgesetzt zu sein,  und gibt es bei aktuell allgemein verfügbarem Kenntnisstand keine Möglichkeit für ihn,  in Geschehendes risikomindernd einzugreifen,  dann können diesbezügliche Recherchen im Informationsnetz zweiter Struktur daran auch nichts ändern,  bloß vollständigere Gewissheit darüber verschaffen.

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Eine Möglichkeit,  einen Schaden tendenziell wahrscheinlicher von sich fernzuhalten,  die älter ist als alle Wissenschaft,  hat allerdings jeder:   Je intensiver er sich ein bestimmtes Geschädigtwerden im Geiste vorstellt,  tendenziell umso eher blockiert er dieses Geschädigtwerden.  Er blockiert sein Geschädigtwerden umso eher,  je besser es ihm gelingt,  sich ein maßgebliches Merkmal des Vorgangs der Schädigung vorzustellen,  dessen Ausfall auch die übrigen Merkmale der Schädigung blockiert.  Hätte diese Abwehr von Unerwünschtem keinerlei Aussicht auf Erfolg,  wäre das Fürchten von Menschen vor bedrohlich Erscheinendem bloße Zeitverschwendung und sie gewöhnten sich dies am besten möglichst schnell ab.

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Streben nach Ablauf und Prognosen

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