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Bernhard Mosler
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Hans-Werner Sinn:
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„Die große Streitfrage betrifft die Sinnhaftigkeit unilateraler Absprachen, bevor die weltweite Koordination gelingt. …
Es ist … im Allgemeinen nicht so, dass sich eine unilaterale europäische Reduktion des Einsatzes fossiler Brennstoffe überhaupt in einer Verminderung des weltweiten CO²-Ausstoßes niederschlägt.
Um das zu erreichen, müsste Europa diese Brennstoffe in riesigen Mengen erwerben und auf seinem Territorium versiegeln, damit die Klimasünder nicht mehr an sie herankommen. Diese Idee ist so abwegig und teuer, dass sie niemand ernsthaft erwägt.
Die Folge ist, dass die freigegebenen Brennstoffe dann anderswohin geliefert und dort verbrannt werden. Der Mechanismus, durch den das geschieht, ist der übliche Preismechanismus. Die politisch verordnete Nachfrageminderung in Europa drückt den Weltmarktpreis, subventioniert damit die Umweltsünder anderswo auf der Welt und veranlasst sie, mehr Brennstoffe zu kaufen, als sie es sonst getan hätten.
Ob diese kompensatorischen Reaktionen der anderen Länder jede ursprüngliche Einsparung exakt wettmachen, ist diskutabel. Das hängt allein davon ab, wie die Anbieter der fossilen Brennstoffe reagieren. Extrahieren sie jene Mengen, die sie ohnehin geplant hatten, haben die moralisch handelnden Staaten garnichts gewonnen.“
Hans-Werner Sinn: Kein Alleingang in der Klimapolitik; Neue Zürcher Zeitung Nr 42, 19.2.2023
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Demzufolge gelangt man kaum zu einer Verminderung des Einsatzes fossiler Brennstoffe mit einer CO²-Reduktion in gewünschtem Ausmaß weltweit, indem die Zugehörigen einer definierten Region wie der Europäischen Union dies anstreben, während Akteure anderer Regionen darin kein Ziel sehen.
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Unsere Welt ist ein offenes System mit vielen Unwägbarkeiten. Ein Verbot des Verbrauchs bestimmter fossiler Brennstoffe, begrenzt auf einen Staat oder eine Staatengruppe, führt nicht unter allen denkbaren Bedingungen dazu, dass die betreffenden Brennstoffe anderswo zu niedrigeren Preisen angeboten werden. Die Fantasie lässt auch Koinzidenzen zu, in denen außerhalb der Verbotszone gefallene Preise für die Brennstoffe auf keine vermehrte Nachfrage treffen.
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Doch ein Szenario, in dem sinkende Angebotspreise fossiler Brennstoffe irgendwo auf vermehrte Nachfrage treffen und ein regional begrenztes Verbrauchsverbot Erwartungen verfehlt, damit die maßgeblichen weltweiten CO²-Emissionen per saldo zu vermindern, ist nicht so abwegig, dass man es als Möglichkeit einfach ignorieren sollte, wenn man es mit dem Vorhaben ernst meint.
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Hält man es für aussichtslos, zwischen Zentralregierungen von Staaten weltweit einen Konsens über eine Verminderung des Einsatzes fossiler Brennstoffe zu erreichen, woran sich alle halten, sodass die Freisetzung von CO² zu unserer Existenz auf der Erde unverzichtbare natürliche Grundlagen eher weniger gefährdet, und möchte man ein früheres Ende der Menschheit, als mutmaßlich irgendwann später durch übermächtige Natur herbeigeführt, vermeiden, dann stellt sich die Frage, wie uns dies anders gelingen könnte.
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Angenommen, die Regierung des Staates A würde den Konsum bestimmter, unverzichtbare natürliche Umweltbedingungen beeinträchtigender Produkte verbieten. Außerdem angenommen, diese Produkte würden im Staat B, wo das Verbot nicht gilt, auf Märkten angeboten und infolge geringerer Nachfrage im Staat A zu niedrigeren Preisen reißenden Absatz finden. Soweit alle Menschen gleichermaßen von für ihr Leben auf der Erde ausreichenden natürlichen Umweltbedingungen abhängig sind, kann die Regierung des Staates A dessen Bevölkerung nicht unbedingt vor naturschädigenden Folgen des Konsums der im Staat B erworbenen Produkte abschirmen. Um den Schutz unverzichtbarer natürlicher Umweltbedingungen möglichst effektiv zu verbessern, müsste der Handel der schadensträchtigen Produkte auf Märkten weltweit unterbunden werden. Dann stellte sich die Frage, ob dies überhaupt mit per saldo naturbegünstigenden Effekten realisierbar wäre und wenn ja, ob ausreichend wirkmächtige Akteure die nötigen knappen, auch für andere Aufgaben begehrten Mittel dafür einsetzen möchten, die Verbote durchzusetzen.
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Womöglich ließe sich der Konsum schadensträchtiger Produkte eher eindämmen, verfügten Menschen weltweit über einen Zugang zum digitalen Informationsnetz zweiter Struktur für Recherchen zu Entscheidungen für bestimmtes Verhalten. Denn dann fiele es Marktteilnehmern ohne Vorgaben von zentraler Stelle tendenziell leichter zu ermitteln, ob der Konsum bestimmter Produkte unverzichtbare natürliche Umweltbedingungen beeinträchtigt oder beeinträchtigen würde und deshalb ihren persönlichen Anliegen widerspräche, ihnen gegebenenfalls die Produkte trotz gefallener Preise nicht kaufenswert erschienen. Je mehr Menschen weltweit so recherchierten und feststellten, dass der Konsum eines bestimmten Produktes ihren persönlichen Anliegen widerspricht, je mehr von ihnen deswegen trotz günstiger Kaufpreise auf den Konsum verzichteten, umso eher reduzierte sich per saldo die vom Konsum des Produktes ausgehende Beeinträchtigung unverzichtbarer natürlicher Umweltbedingungen.
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